Fall Holenweger: Fernsehen informierte einseitig

07.12.2010, Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) hat eine Beschwerde gegen die "Tagesschau" des Schweizer Fernsehens teilweise gutgeheissen. Der Entscheid betrifft einen Beitrag über den Abschluss der Voruntersuchung im Fall Holenweger.
Bei der Berichterstattung über laufende Strafverfahren gelten erhöhte Sorgfaltspflichten für Rundfunkveranstalter, um dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz der Unschuldsvermutung gebührend Rechnung zu tragen. Jeder Mensch gilt demnach bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig. Bei der Berichterstattung über hängige Strafverfahren sind Vorverurteilungen zu vermeiden. Neben einer präzisen Darstellung der Fakten und der verschiedenen Standpunkte gebietet der Grundsatz der Unschuldsvermutung eine zurückhaltende Ausdrucksweise in Inhalt und Ton.
In der Mittagsausgabe der "Tagesschau" wird dem Publikum ein einseitiges Bild zum Abschluss der Voruntersuchung im Fall Holenweger vermittelt. Es kommt ausschliesslich der Standpunkt des Untersuchungsrichters zum Ausdruck. Über die Ansichten des Angeschuldigten, gegen welchen im Beitrag mehrere strafrechtlich relevante Vorwürfe erhoben werden, erfährt das Publikum nichts. Weder fasst die Redaktion die entsprechenden Textstellen aus der Medienmitteilung des Untersuchungsrichters zusammen noch weist sie darauf hin, dass sie bis zum Ausstrahlungstermin des Beitrags keine Stellungnahme von Oskar Holenweger oder von dessen Anwalt erhalten habe. Sie hat es überdies unterlassen, explizit auf die Unschuldsvermutung hinzuweisen oder zumindest die weiteren Verfahrensschritte zu skizzieren, um den erhöhten Sorgfaltspflichten bei der Berichterstattung über laufende Strafverfahren Rechnung zu tragen. Die Ausdrucksweise entspricht nicht durchwegs der bei entsprechenden Fällen gebotenen Zurückhaltung. Da sich das Publikum insgesamt keine eigene Meinung zum Abschluss der Voruntersuchung gegen Oskar Holenweger bilden konnte, hat der Beitrag der "Tagesschau"-Mittagsausgabe das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt. Die UBI hat die Beschwerde aus diesen Gründen mit 5:3 Stimmen gutgeheissen.
Es fehlt zwar auch im Beitrag der "Tagesschau"-Hauptausgabe ein ausdrücklicher Hinweis auf die Unschuldsvermutung. Dieser Mangel wird aber insbesondere durch die zweimalige Erwähnung des Standpunkts des Angeschuldigten sowie durch ausgestrahlte Aussagen des verantwortlichen Untersuchungsrichters zu den kommenden Verfahrensschritten im Wesentlichen kompensiert. Bereits in der Anmoderation und vor allem auch ganz am Schluss des Beitrags wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Oskar Holenweger alle ihm vorgeworfenen Straftaten bestreitet. Für das Publikum wird damit erkennbar, dass die Ergebnisse der Voruntersuchung und die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen umstritten sind. Durch die zusätzlichen Informationen zum Verfahren konnte es sich überdies ein korrektes Bild über die rechtliche Relevanz des Schlussberichts der Voruntersuchung bilden. Indirekt wurde damit ebenfalls dem Grundsatz der Unschuldsvermutung Rechnung getragen. Mit 7:1 Stimmen hat die UBI deshalb beschlossen, dass der Beitrag in der "Tagesschau"-Hauptausgabe das Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzt hat.
Die Beschlüsse der UBI können beim Bundesgericht angefochten werden. Ist der Entscheid rechtskräftig, muss das Schweizer Fernsehen der UBI innert 30 Tagen berichten, welche Massnahmen es getroffen hat, um ähnliche Rechtsverletzungen wie diejenige in der "Tagesschau"-Mittagsausgabe in Zukunft zu vermeiden.
Die UBI ist eine ausserparlamentarische Kommission des Bundes. Sie besteht aus neun nebenamtlichen Mitgliedern und wird durch Roger Blum präsidiert. Die UBI hat auf Beschwerde hin festzustellen, ob ausgestrahlte Radio- und Fernsehsendungen Bestimmungen über den Inhalt redaktioneller Sendungen verletzt haben oder eine rechtswidrige Verweigerung des Zugangs zum Programm vorliegt.
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